Was tun beim Streit um Bonus und Leistungsbeurteilungen?
14.06.23Zu den Schwerpunkten beim Juristischen Service des VAA gehören Rechtsanfragen und gerichtliche Auseinandersetzungen zu Boni und Leistungsbeurteilungen. Über die aktuellen Entwicklungen auf diesem Themengebiet hat das VAA Magazin mit dem VAA-Juristen Christian Lange gesprochen.
Da der Bonus ein beachtlicher Anteil des Jahreseinkommens ist und gerade persönliche Beurteilungen auch eine persönliche Betroffenheit nach sich ziehen, verwundert die Vielzahl der Konflikte zu diesem Thema nicht. Die Rechtsprechung hat in den letzten Jahren einige sehr interessante Entscheidungen getroffen, die zumindest für die eine oder andere Konstellation in diesem konfliktträchtigen Feld für Klarheit sorgen.
VAA Magazin: In den Unternehmen werden Bonussysteme genutzt, um einen Anreiz für Leistungen und somit eine Belohnung für gute Performance zu schaffen. Gilt dieser Grundsatz in der Praxis?
Lange: In der Regel schon. Als Juristen werden wir natürlich mit den Fällen konfrontiert, in denen es nicht rund läuft. Problematisch sind die Konstellationen, bei denen es zwar persönliche Ziele gibt, aber die Zielerreichung von persönlichen Zielen mit Unternehmenszielen multipliziert werden. Wenn dann die Unternehmensziele nicht erreicht wurden und auf null gesetzt werden, ist Frustration vorprogrammiert. Die persönliche Leistung des einzelnen Mitarbeiters kann noch so gut gewesen sein, honoriert wird sie nicht.
Was kann man als betroffener Mitarbeiter dagegen tun?
Wenn das entsprechende Bonussystem diese Multiplikation von Unternehmenszielen mit persönlichen Zielen vorsieht, ist es leider schwierig. Die Rechtsprechung überlässt den Arbeitgebern einen gewissen Spielraum, wie sie die Gehaltsgestaltung regeln. Der Anknüpfungspunkt muss daher ein anderer sein: In Betrieben, in denen es Betriebsräte beziehungsweise Sprecherausschüsse gibt, müssen diese sich dafür einsetzen, dass persönliche Zielerreichungen fair bewertet und nicht durch andere Faktoren zunichte gemacht werden können.
Welche Handlungsmöglichkeiten haben die Betriebsräte oder Sprecherausschüsse?
Bei Zielvereinbarungen im Zusammenhang mit einem Bonussystem unterliegen sowohl die Verfahrensregeln – also zum Beispiel die Frage, ob Ziele einseitig durch den Arbeitgeber festgelegt werden oder durch eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zustande kommen – dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates. Auch die abstrakte Festlegung der Kriterien und Regelungen zur Gewichtung von Zielen muss der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat abstimmen.
Zugunsten des Sprecherausschusses existiert ein Beratungsrecht. Da Sprecherausschüsse keine Mitbestimmungsrechte, sondern nur Mitwirkungsrechte haben, könnte der Arbeitgeber nach erfolgter Beratung mit dem Sprecherausschuss auch einseitig ein System ohne eine entsprechende Sprecherausschussvereinbarung festlegen. Sinnvoll ist das aber nicht.
Warum?
Bonussysteme sollen die Arbeitnehmer motivieren. Der Sprecherausschuss kann sinnvolle und motivierende Inhalte in ein System mit einbringen. Auch Regelungen zu möglichen Konfliktbeilegungen, die im Falle von Meinungsverschiedenheiten unter Beteiligung eines Sprecherausschussmitgliedes vielfach zu Lösungen führen können, lassen sich in einer Sprecherausschussvereinbarung festlegen. Der Sprecherausschuss wird somit sowohl in die Gestaltung als auch bei der Umsetzung von Zielvereinbarungen und Bewertungen mit einbezogen, was für Arbeitgeber sowie für die leitenden Angestellten vorteilhaft ist.
Wie sieht es aus, wenn es um die Festlegung von konkreten Zielen für den einzelnen Arbeitnehmer geht?
Betriebsräte und Sprecherausschüsse können hierbei nicht zwingend mitgestalten. Sie sind aber dennoch Ansprechpartner für den einzelnen betroffenen Arbeitnehmer, wenn dieser Unterstützung bei der Festlegung von Zielen oder insbesondere bei der Bewertung der Zielerreichung benötigt.
Gibt es hierfür Praxisbeispiele?
Ein klassisches Beispiel ist die fehlende Zielvereinbarung. Wir erleben es immer wieder, dass in der Hektik des Berufsalltages Ziele nicht vereinbart werden und dann plötzlich das Jahr vorbei ist.
Wie bewertet man dann die Zielerreichung?
Die Rechtsprechung leitet aus einer fehlenden Zielvereinbarung einen Schadenersatzanspruch her. Die Zielerreichung wird auf 100 Prozent Erfüllung gesetzt. Allerdings gibt es ein Mitverschulden des Arbeitnehmers, da dieser natürlich auch weiß, dass im Laufe des Jahres die Zielvereinbarung nicht zustande kam. Man muss als Arbeitnehmer den Arbeitgeber daran erinnern, idealerweise rechtzeitig und nachweisbar. Also zumindest durch eine E-Mail, die man nach Ablauf des Jahres noch als Nachweis vorlegen könnte.
Was passiert, wenn Ziele vereinbart oder vom Arbeitgeber vorgegeben werden, aber eine vollständige Zielerreichung unrealistisch ist?
Ziele müssen „SMART“ sein. Hinter dieser Abkürzung verbirgt sich, dass Ziele präzise formuliert werden müssen (specific), messbar sind (measurable), erreichbar (achievable), möglich und realisierbar sind (reasonable) sowie terminiert (time-bound) werden. Aus rechtlicher Sicht ist zu unterscheiden, ob Ziele einseitig vom Arbeitgeber vorgegeben werden oder im Rahmen einer echten Zielvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zustande kommen. Insbesondere bei der einseitigen Zielvorgabe des Arbeitgebers muss das billige Ermessen des Arbeitgebers ausgeübt werden. Die Rechtsprechung überprüft durchaus den Gestaltungsspielraum des Arbeitgebers und greift ein, wenn eindeutig zulasten des Arbeitnehmers gegen SMART-Grundsätze verstoßen wurde.
Wie setzen die Gerichte faire Zielerreichungen um?
Zunächst muss man berücksichtigen, dass es sich vielfach um Einzelfallentscheidungen handelt, da zum einen die Bonussysteme, aber auch die möglichen Ziele in den Unternehmen unterschiedlich sind. Aktuell führen wir für ein VAA-Mitglied einen Rechtsstreit, bei dem ein Vorstandsvorsitzender bereits Anfang April 2020 erklärte, es könnten vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Situation jegliche Ziele ohnehin nicht erreicht werden. Daher wurde die Zielerreichung bereits im April auf null gesetzt. Das Arbeitsgericht Hamburg hat hierin zu Recht einen Verstoß gegen billiges Ermessen gesehen. Der Arbeitgeber hätte durchaus realistische Ziele vorgeben können und durfte nicht im Vorhinein eine fehlende Zielerreichung unterstellen. Das Gericht hat dann selbst ein billiges Ermessen ausgeübt und den Durchschnitt der vergangenen Jahre als Bonuszahlung zugrunde gelegt.
Wie sieht es aus, wenn persönliche Ziele aus Sicht des Arbeitgebers nicht erreicht werden sollen. Was kann man betroffenen Arbeitnehmern empfehlen?
Es wird sehr auf die verschiedenen Regelungen zum Bonussystem ankommen. Wenn zum Beispiel vorgesehen ist, dass man als Arbeitgeber beziehungsweise Vorgesetzter im Verlaufe des Jahres, insbesondere in einem Mid-Year-Review, auf eine derzeit schlechte Performance hinweisen muss und dies unterlässt, lassen viele Systeme eine schlechte Bewertung am Ende des Jahres nicht zu. Es stellt sich zudem die Frage, ob die Rechtsprechung zum Thema Zeugnisse auf die Beurteilung von persönlichen Zielen übertragbar ist, was man aus unserer Sicht durchaus bejahen kann. Dies würde bedeuten, dass eine durchschnittliche Bewertung der Maßstab ist. Möchte der Arbeitgeber unterdurchschnittlich bewerten, muss er die schlechtere Zielerreichung darlegen und beweisen. Umgekehrt wäre es Aufgabe des Arbeitnehmers, eine überdurchschnittliche Zielerreichung darzulegen und zu beweisen.
Welche Empfehlung können Sie zusammenfassend geben?
Arbeitgeber zeigen häufig wenig Kompromissbereitschaft beim Thema Bonus. Zum Teil befürchten sie, dass sich ein Nachgeben bei einer Beurteilung herumsprechen könnte und dann viele Arbeitnehmer eine andere Bewertung durchsetzen möchten. Davon sollte man sich aber nicht abschrecken lassen und zumindest den ersten Schritt gehen, nämlich eine Einschätzung durch den VAA vornehmen lassen. Alles Weitere wird dann von der jeweiligen Fallkonstellation abhängen.
Quelle: VAA