BAG: Äußerung in privater Chatgruppe kann Kündigung rechtfertigen
04.10.23Wenn sich Beschäftigte in einer privaten Chatgruppe in stark beleidigender, rassistischer, sexistischer und zu Gewalt aufstachelnder Weise über Vorgesetzte und andere Teammitglieder äußern, kann das eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen.
Einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zufolge können sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nur in Ausnahmefällen auf die Vertraulichkeit eines Chats berufen. Im konkreten Fall gehörte ein Arbeitnehmer seit 2014 einer Chatgruppe mit fünf anderen Kollegen an. Im November 2020 wurde ein ehemaliger Kollege als weiteres Gruppenmitglied aufgenommen. Alle Gruppenmitglieder waren „langjährig befreundet“, zwei waren miteinander verwandt. Neben rein privaten Themen äußerte sich der Arbeitnehmer – wie auch mehrere andere Gruppenmitglieder – in beleidigender und menschenverachtender Weise unter anderem über Vorgesetzte und Arbeitskollegen. Nachdem der Arbeitgeber davon Kenntnis erhielt, kündigte er das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers außerordentlich fristlos, wogegen dieser Kündigungsschutzklage erhob. Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht (LAG) entschieden im Sinne des Arbeitnehmers. Zwar seien die Äußerungen des Arbeitnehmers geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Sie seien jedoch Bestandteil einer vertraulichen Kommunikation zwischen den Chatteilnehmern und daher vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Grundgesetzes geschützt.
Das Bundesarbeitsgericht hat kürzlich anders entschieden als die Vorinstanzen (Urteil vom 24. August 2023, Aktenzeichen 2 AZR 17/23). Eine Vertraulichkeitserwartung sei nur dann berechtigt, wenn die Mitglieder der Chatgruppe den besonderen persönlichkeitsrechtlichen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation in Anspruch nehmen können. Das ist laut BAG abhängig von dem Inhalt der ausgetauschten Nachrichten sowie der Größe und personellen Zusammensetzung der Chatgruppe. Sind beleidigende und menschenverachtende Äußerungen über Betriebsangehörige Gegenstand der Nachrichten, bedürfe es einer besonderen Darlegung, warum der Arbeitnehmer berechtigt erwarten konnte, deren Inhalt werde von keinem Gruppenmitglied an einen Dritten weitergegeben.
Das BAG verwies den Fall zurück an das LAG. Dort kann der Arbeitnehmer nun darlegen, so die obersten Arbeitsrichter, warum er angesichts der Größe der Chatgruppe, ihrer im Zeitverlauf geänderten Zusammensetzung, der unterschiedlichen Beteiligung der Gruppenmitglieder an den Chats und der Nutzung eines auf schnelle Weiterleitung von Äußerungen angelegten Mediums eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung aus seiner Sicht haben konnte.
VAA-Praxistipp
Das Urteil des BAG verdeutlicht, dass Äußerungen mit Bezug zum eigenen Arbeitsverhältnis auch im privaten Umfeld problematisch sein können. Andererseits können auch quasiöffentliche Aussagen eine grundrechtlich geschützte private Meinungsäußerung darstellen, wie ein anderes Urteil des LAGs Berlin-Brandenburg zeigt: Es erklärte die außerordentliche Kündigung eines Berufsschullehrers durch das Land Berlin für unwirksam, der in einem von ihm veröffentlichten YouTube-Video das staatliche Werben um Impfbereitschaft in der Coronapandemie mit dem System der Konzentrationslager im Nationalsozialismus verglichen hatte. Die Selbstdeutung des Lehrers, er habe mit dem Video lediglich scharfe Kritik an der Coronapolitik äußern wollen, könne nicht zwingend ausgeschlossen werden. Deshalb sei eine Überschreitung des Grundrechts auf Meinungsäußerung nicht eindeutig festzustellen, so das LAG (Urteil vom 15. Juni 2023, Aktenzeichen 10 Sa 1143/22).
Dieser Artikel ist erstmals im VAA Newsletter in der Septemberausgabe 2023 veröffentlicht worden.